„So jedenfalls soll es gewesen sein
So jedenfalls sagen die Großmütter hier
So jedenfalls soll auch die Kraft deiner Träume sein
So jedenfalls wünsch ich es dir“
(Gerhard Schöne)
Thomasburg feiert gerne seine Ursprünge. 1959 fand die 900 Jahrfeier statt. 1984 die 925 Jahrfeier [1], 2009 wäre die 950 Jahrfeier fällig gewesen, aber sie wurde nicht begangen. Und jetzt 2024 noch einmal die 900 Jahrfeier. Wie ist das möglich? Ein Blick zurück:
Am 13. September 1959 feierte Thomasburg[2] zusammen mit allen zur Gemeinde gehörenden Dörfern die 900 Jahrfeier von Dorf und Kirche. Landessuperintendent Dornblüth war eigens aus Lüneburg angereist, um den Festgottesdienst zu leiten. Es war richtig was los an diesem Tag.[3]
Worauf gründete die Wahl des Jahres 1059 als Gründungsjahr für die Thomasburger Kirche und mithin für das Dorf? Schwierig. Der Termin hat kaum Anhalt in den historischen Quellen. 1059, so steht es in einer z.B. von Günter Hoffmann erwähnten Urkunde[4], stiftete ein gewisser Graf Huno mit seiner Frau Willa (oder Willna[5]) die Kirche zu Rastede[6] bei Oldenburg zu Ehren des Heiligen Ulrich von Augsburg. Die Kirche wurde am 11. November 1059 geweiht.[7] Diese Kirche war eine Gemeindekirche, denn das Benediktinerkloster Rastede hat der gleiche Graf Huno mit seiner Frau als altes Ehepaar erst 32 Jahre später, 1091[8], gestiftet und mit umfänglichen Besitztümern bis hin zu Lüneburg und dem Bardengau, vermutlich inklusive Thomasburg ausgestattet. Es ist unwahrscheinlich, dass Graf Huno gleichzeitig mit seiner Kirchenstiftung in Rastede auch eine Kirche im etwa 200 km entfernten Thomasburg gestiftet hat, es nicht einmal sicher, dass Thomasburg damals schon zu seinen Besitztümern zählte, auch nicht, dass es da schon eine Kirche gab. Kurzum: Unsere Großmütter und Großväter haben 1959 gesagt: „So jedenfalls soll es gewesen sein.“ Der Wunsch war Vater des Gedankens.
Im Zusammenhang mit der Gründung der Thomasburger Kirche wird auch gern eine Legende erzählt, die sich deutlich mit der Rasteder Geschichte beißt. Die Legende hat der Thomasburger Pastor Guden in dem von ihm verfassten „Pfarrlagerbuch“ im Jahre 1668 niedergeschrieben. [9] Danach erinnert sich ein damals noch lebender Ältester (heute würden wir sagen ‚Kirchenvorsteher‘) der Thomasburger Kirchengemeinde an eine Geschichte, der zufolge ein gewisser Junker Bülen (oder Bülig oder Bülow[10]) die Kirche gestiftet haben soll. Ein Junker war im Mittelalter ein Mitglied des Adels ohne Ritterschlag[11]. Mithin war Bülen vermutlich ein lokal verwurzelter adeliger Mann, wohl der Burgherr zu Thomasburg, dem – so die Legende – ein Kind „soll weggekommen seyn“. [12] Bülen hat Angst, dass das Kind in den Neetze-Sümpfen bei Thomasburg ertrunken sein könnte. Eine berechtigte Sorge, wenn wir sehen, dass heute noch zu Füßen des Kirchberges Sümpfe sind; kein Vergleich zur Ausdehnung des Morastes in jenen Zeiten. Bülen legte ein Gelübde ab, eine Kirche auf dem Burgberg zu stiften, wenn denn sein Kind wohlbehalten wieder auftaucht. Das Kind taucht wieder auf und der Vater hält sein Gelübde und lässt die Thomasburger Kirche erbauen. So die Legende. Nach dieser Geschichte hat kein 200 km im Oldenburgischen lebender Graf die Kirche erbauen lassen, sondern ein lokaler Adeliger. Das klingt gar nicht so unwahrscheinlich. Die Legende hätte dann die Erinnerung daran bewahrt, dass einst ein Mitglied des niederen Adels die Burg besaß und womöglich selbst den Bau der Kirche betrieb. Dies würde auch erklären, dass Geld zur Verfügung stand, denn die Dörfler selbst dürften dazu nicht in der Lage gewesen sein. [13]
Die schöne Geschichte von dem Gelübde hat nur einen Haken: Ist es denkbar, dass die Legende Anhalt an der tatsächlichen Geschichte hat, wenn doch die Kirche 1668 bereits wenigstens 500 Jahre steht? Oder hat vielleicht die Großmutter von jenem Ältesten eine Geschichte erzählt, die sie von ihrer Großmutter erzählt bekommen hatte, als ihr Enkel sie fragte, wer denn die Kirche gebaut habe. „So jedenfalls soll es gewesen sein, so jedenfalls sagen die Großmütter hier…“
Zurück zum Kloster Rastede. Es wurde von Graf Huno und seiner Frau Willna mit reichen Besitztümern ausgestattet. Sohn Friedrich hat noch etliches dazugefügt.[14] Wo jemand viel besitzt, gibt es immer auch Leute, die einem den Besitz streitig machen wollen. Der Abt des Klosters, Abt Sveder, ließ sich deshalb sicherheitshalber 33 Jahre nach der Gründung sein neu erworbenes Abt-Amt und den Besitz des Klosters 1124 von Papst Calixtus II bestätigen[15], dazu gehörten auch die Dörfer Thomasburg und Reinstorf.[16] Das Datum dieser Urkunde gab den Anstoß, nun noch einmal 2024 die 900 Jahrfeier der Gemeinde Thomasburg zu legen.
Nur: Damit ist ja keineswegs das historisch richtige Datum für die Gründung des Dorfes Thomasburg und die Erbauung der Kirche gefunden. 1124 ist das erste gesicherte Datum, dass damals das Dorf Thomasburg bestand. Mit hoher Wahrscheinlichkeit gab es damals eine Kirche in Thomasburg, die Teil des Rasteder Klosterbesitzes war.[17] So ist davon auszugehen, dass Thomasburg eine Pfarrei besaß und die Kirche Pfarrkirche für die Thomasburger Einwohner und die der umliegenden Dörfer war. Aber wann das Dorf Thomasburg entstand und wann eine Kirche erbaut worden ist, bleibt weiter im Dunkeln. Da können wir nur Legenden erfinden oder es lassen: „So jedenfalls soll es gewesen sein, so jedenfalls sagen die Großmütter hier…“
Aber eingrenzen können wir: Die Forschung ist sich einig, dass die Sachsen im 10. Jahrhundert die im 7. Jahrhundert ins nördliche Elbgebiet eingewanderten Slawen[18] (Wenden) zurückgedrängt oder assimiliert und christianisiert haben. Im Großraum Lüneburg spielt Hermann Billung dabei eine entscheidende Rolle. [19] Der Thomasburger Pastor Hagenberg geht 1903 davon aus, dass Thomasburg eine „Schutz- und Trutzburg“ gegen die Wenden war. [20] Hier könnte eine Furt durch die Neetze gesichert worden sein. Aber sicher ist das nicht. Möglicherweise waren schon im 10. Jahrhundert die Elbslawen weitgehend assimiliert, und die Burg war jetzt eine Wohnstätte für den lokalen Adeligen, der dem Kloster Rastede lehnspflichtig war.[21] Wir müssen uns keine große Burg vorstellen, eher ein befestigtes Haus mit Burgwall[22], womöglich mit einem runden Flucht- oder Wehrturm, der heute noch im Innern des jetzt rechteckigen Turms der Kirche versteckt ist. [23] C. Schuchhardt datiert solche Befestigungen sogar schon ins 8./9. Jahrhundert.[24] Aber das ist umstritten. Ohne die Legendbildung zu strapazieren, können wir vermuten, dass zu Fuße der Befestigung im 10. Jahrhundert eine Siedlung bestand oder entstand[25]. Da Grenzauseinandersetzungen mit den Slawen spätestens im 11. Jahrhundert beendet war, hatte die Burg als Festung ihre Bedeutung verloren. Es bot sich an, hier eine Kirche zu errichten. Pastor Hagenberg formulierte salopp: „An Stelle der alten Burg oder des Wehrturms wurde aus der bisherigen Mannsburg eine Messburg.“ [26] Der Turm wurde umgenutzt. Vielleicht wurden Steine der Burg für den Kirchenbau verwendet, vielleicht blieben (Wohn)Teile der Burg auch zunächst bestehen. Wer letztendlich die Kirche gestiftet hat, wissen wir nicht, hier helfen nur Legenden… „So jedenfalls soll es gewesen sein…“ Vielleicht der Thomasburger Burgherr? Vielleicht war dieser ein Adeliger aus dem Geschlecht der Billunger? Vielleicht war es etwas später das Kloster Rastede? Jedenfalls spricht einiges dafür, dass dies Mitte / Ende des 11. Jahrhunderts oder Anfang des 12. Jahrhunderts geschah.[27] Dann hätten unsere Großväter und Großmütter 1959 also mit gewissem Recht 900 Jahre Kirche in Thomasburg gefeiert. Das Dorf Thomasburg dagegen wird wohl älter sein als seine Kirche. Sicher besteht es im Jahr 1024 laut päpstlicher Urkunde 900 Jahre. Vielleicht aber ist es auch mehr als 1000 Jahre alt? Bis eine genauere Datierung durch neue Ausgrabungsfunde oder mittelalterliche Dokumente gefunden werden gilt weiterhin: „So jedenfalls könnte es gewesen sein. So jedenfalls sagen die Großmütter hier…
Joachim Diestelkamp
[1] Siehe Festschrift zur 925 Jahrfeier, zusammengestellt von Erika Behr und illustriert von Gertrud Hoffmann. Thomasburg 1984
[2] Zum Namen Thomasburg: in einer päpstlichen Urkunde von 1124 heißt das Dorf „Totimesborch, in einer Urkunde von 1190 wurde es Totimesborgh geschrieben, 1344 und 1450 schreibt man es im Winsener Schatzregister „Todemesbuírg“. Die älteste Form könnte auf den langobardischen Namen „Totimann“ oder „Todemann“ zurückgehen, wer auch immer das gewesen sein mag (vielleicht ein Mann aus der Familie der Billungs??). Da dieser Name und der mögliche Bezug zu einer konkreten Familie verblasste, hat sich das Wort schließlich in „Thomasburg“ abgeschliffen, ein Name, der freilich mit der Kirche nichts zu tun hat, diese ist St. Peter und Paul geweiht. Siehe z.B. Hans Kück, Zeitungsartikel von 1939 (ohne Angabe der Zeitung), aus der „Chronik“- Sammlung des Dorflehrers Gustav Eschemann.
[3] Siehe Günther Hoffmann, Chronik der Thomasburger Kirche (maschinengeschrieben, handgearbeitet), S. 63
[4] Hoffmann, Chronik, S. S. 9. Graf Huno wird im Necrologium des St. Michaelisklosters Lüneburg erwähnt. In der Tat gab es verwandtschaftliche Beziehungen des Grafen sowohl zur Familie des Grafen von Stade, welcher ebenfalls Besitzungen im Bardengau hatte und auch zur Familie der Billunger. Siehe Dietmar Gehrke, Burgen und befestigte Adelssitze zwischen Lüneburg und Uelzen, S. 72
[5] Wikipedia, Artikel “Kloster Rastede“
[6] Hoffmann, Chronik, S. 9
[7] Wikipedia, Artikel „St. Ulrichs-Kirche (Rastede)“
[8] Wikipedia, Artikel „Kloster Rastede“
[9] Hoffmann, Chronik, S. 8
[10] Siehe D. Gehrke, Burgen, S. 72
[11] Wikipedia, Artikel „Junker“
[12] Hoffmann, Chronik, S. 8
[13] Zur Wahrscheinlichkeit, dass dort ein lokaler Adeliger wohnte, siehe D. Gehrke, Burgen, S. 72
[14] Wikipedia, Artikel „Kloster Rastede“: „So besaß das Konvent bald Ländereien in und um Rastede, im Ammerland, in Rüstringen, östlich der Weser bis Bardowick und Lüneburg, sowie im Gebiet um Syke bei Bremen. Zusätzlich kamen von Friedrich (verzeichnet auf einer Papsturkunde von 1124) westfälischer Besitz in Soest, Lüdenscheid, Iserlohn und Arnsberg dazu. Durch die Zahlung des Zehnts der Bauern und die daraus resultierende materielle Unabhängigkeit der Mönche wurde das Kloster Rastede schnell zu einem geistigen Zentrum der Region.“
[15] Hoffmann, Chronik, S. 8a (abgedruckt auch auf dem Jahreskalender 2024 der Kirchengemeinde Thomasburg)
[16] Hoffmann, Chronik, S. 8b, interpretiert die Urkunde, dass diese drei Dörfer auch Kirchen besaßen
[17]
Die ‚Zeitschrift für väterländische Geschichte und Alterhumskunde‘, Dritte Folge. Fünfter Band, Münster 1865, transkribiert S. 251 den Text der Urkunde wie folgt: „In Bardinge:
Totimesborch, Reynestorp curias, cum ecclesiis et appendiciis earum; villam Melinchuden cum appendiciis suis. In Bardewich XXX areas censum de ponte et
de pascuis; ecclesiam Rode cum appendiciis suis Reindale Dalsche Hoygerstorp. In Luneborch sex panstalia Preterea quascunque possessiones,…“ Die Interpunktion stammt vom
Herausgeber. Die spannende Frage ist, wie ist die Folge der beiden Ortsnamen Totimesborch und Reynestorp zu interpretieren. Ist dort ein Komma zu ergänzen oder ein ‚und‘. Lesen wir ‚und‘,
dann beziehen sich die ecclesiis (Kirchen) auf beide Orte, lesen wir es als ‚Komma‘, dann könnte auch ein Kirchspiel Reynestorp mitsamt seinen Kirchen gemeint sein – auch wenn wir nicht
wissen, welche weitere Kirche(n) das sein sollten. Es spricht wohl mehr dafür die Lücke zwischen beiden Ortsnamen mit einem ‚und‘ zu füllen.
Eine Aufstellung, um welche der genannten Orte es sich in diesen Zeilen handelt, siehe Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte, Band 21, 1949, S. 76: „1124 In Bardinge:
Todimesborg (Thomasburg, K. Thomasburg), Reynestorf (Reinstorf, K. Reinstorf), „Melinchuden" (wüst zwischen Thomasburg u. Wennekath), Bardewik (Bardowick, K. Bardowick), Rode (Rode, wüst
b. Lüne), Remdale (Rönndahl, K. Salzhausen), Datsche (Dalem, K. Dahlenburg), Hoygerstorp (Hogerstorf, K. Bodenteich), Luneborch (Lüneburg, Kspl. Lüneburg).“
[18] Wikipedia, Artikel „Wenden“
[19] Wikipedia, Artikel „Hermann Billung“
[20] Hoffmann, Chronik, S.1
[21] D. Gehrke, Burgen, S. 72
[22] „Wahrscheinlich bestand der gesamte Burgwall aus einer … Holzkastenkontruktion, die offensichtlich bei einem Brand in Mitleidenschaft gezogen wurde. Für diese Vermutung spricht das gehäufte Auftreten von verkohlten Hölzern…“. D. Gehrke, Burgen, S. 71
[23] Aber dies ist umstritten. … schreibt: „Festgehalten werden muss, dass das genaue Alter des Turmes nach wie vor unsicher ist, wenngleich … vergleichende Betrachtungen tatsächlich ein relativ junges Baudatum nahelegen“. D. Gehrke, Burgen, S. 73
[24] Hoffmann, Chronik, S. 2
[25] Ungeklärt ist die Frage, ob die Siedlung um die Burg entstand oder ob die Burg gebaut wurde, um Siedlung und Furt zu schützen. Siehe… Blatt 1 maschinengeschrieben aus der „Chronik“-Sammlung von Gustav Eschemann.
[26] Zitat von Pastor Hagenberg, 1903, in Hoffmann, Chronik, S. 5
[27] Ganz sicher und deutlicher als 1124 belegt ist die Kirche zu Thomasburg 1303/1305, Hoffmann, Chronik, S. 9